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Langsamer als ein menschlicher Fingernagel wächst, bewegen sich die Kontinente auf dem
flüssigen Erdmantel, doch die Auswirkungen können verheerend sein. Vor etwa
50 Millionen Jahren kollidierte der indische Subkontinent mit dem eurasischen
Kontinent, und im Laufe von Jahrmillionen entstand das gigantische Himalayagebirge,
das immer noch in die Höhe wächst. Dadurch entstehen natürlich durch Spannungen
verursachte Erschütterungen, sogenannte Erdbeben, aber viele Menschen hier in
Pakistan glauben an die zerstörerische Macht des islamischen Gottes Allah, der
die Menschen in dieser Gegend bestraft, weil sie schlechte Moslems sind.
Das schwerste Erdbeben in der Geschichte Pakistans ereignete sich im Oktober 2005
mit einer Stärke von 7,6 und kostete über 50.000 Menschen das Leben.
Wir sind keine Katastrophentouristen, die sich am Elend anderer Menschen erfreuen,
nur zufällig führte unser Weg durch dieses zerstörte Gebiet. Die Menschen haben
es wirklich nicht einfach hier. In der Stadt Balakot sind nahezu alle Häuser dem
Erdboden gleich gemacht, das was noch steht muss wegen Einsturzgefahr abgerissen
werden. Die Asphaltstraße ist streckenweise völlig weggerissen. Tiefe Spalten
im Belag zeugen von der Gewalt der Erschütterungen. Die Menschen hier leben jetzt
ausschliesslich in Zelten oder Wellblechhütten, denn das Gebiet um Balakot wurde
zur "Roten Zone" erklärt und ein Wiederaufbau der eingestürzten Häuser ist
strengstens untersagt, denn es muss mit weiteren Beben gerechnet werden.
Wir treffen auf viele reiche Pakistani, die trotz der gewaltigen Zerstörungen
hier Urlaub machen und die Straße ist bis zum Touristenort Naran geräumt und
notdürftig befahrbar.
Die malerischen Landschaften hier im Norden Pakistans erinnerten uns oftmals an
die grünen gebirgigen Täler der Schweiz und manchmal fragten wir uns warum wir
so weit fahren mussten, um so etwas zu sehen.
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Nördlich von Naran wurde die Straße immer schlechter. Begleitet von den beiden ebenfalls
beradelten Franzosen Emanuel und Yoann sollte es für uns über den 4100 m hohen
Babusar-Pass gehen und dann 3000 Höhenmeter steil abwärts auf den weltberühmten
Karakorum-Highway. Auf der Landkarte ist die Route über den Babusar-Pass als kleine
Straße ausgewiesen und in den Reiseführern steht, dass der Pass ab Mitte Juli befahrbar
sei, als Jeep- Route mit geländegängigen Fahrzeugen. Wir waren dieses Jahr wohl zu
früh dran und die Menschen schienen nach dem Erdbeben anderes zu tun zu haben als
die Straße freizumachen. So quälten wir uns mit unseren schwerbeladenen Fahrrädern
über holprige Steine, verschüttete Straßenabschnitte und über die Straße langende
Schneefelder. Meist war Schieben angesagt, öfters mit vereinten Kräften an einem
Fahrrad und so ging es tagelang. Schlimmeres befürchtend fragten wir Einheimische
nach dem Zustand der Straße Richtung Babusar-Pass, als Antwort bekamen wir unsicheres
Kopfwackeln und angedeutete Schwimmbewegungen. Ein paar Kilometer weiter war die Brücke
weggerissen, die über einen reißenden Gebirgsfluß geführt hatte. An dieser Stelle war
ein Kreuzen undenkbar, zu tief und reißend war die Strömung. Weiter unten war der
Fluß ausladener und wir beobachteten Einheimische, wie sie sich durch die Fluten
kämpften.
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Nun gab es zwei Möglichkeiten. Zweihundert schwer erarbeitete Kilometer zurück auf
den Karakorum-Highway oder durch den Fluß. Ohne Zögern entschieden wir uns für
Letzteres. 5 Stunden dauerte es bis Fahrräder und Gepäckstücke sicher auf der
anderen Seite waren. Die Fahrräder konnten nur zu zweit Zentimeter um Zentimeter
quer zur kräftigen, teils hüfthohen Strömung fortbewegt werden. Nach der Querung
hatten Kamera, Armbandcomputer und Schuhe einen Wasserschaden, doch wir waren heilfroh,
dass nicht mehr passiert war und wir alle Sachen beisammen hatten.
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Das Abenteuer Babusar-Pass war jedoch noch nicht zu Ende, es sollte noch schlimmer
kommen. Wir befanden uns in Kohistan, eine in ganz Pakistan bekannte Provinz,
berühmt durch seine radikal konservativen, ausländerfeindlichen Moslems.
Kurz vor dem Babusar-Pass war die Strasse mal wieder so steil, dass wir schieben
mussten, begleitet von einer großen Schar Kinder. Anfangs waren sie hilfsbereit
und halfen beim Schieben, dann fingen sie an unsere Sachen zu demontieren und
unsere Packtaschen zu öffnen, schliesslich forderten sie Geld, errichteten
Barrikaden auf der Straße und fingen an mit Steinen zu schmeißen. Anfangs
konnten wir sie noch vertreiben, doch sie kamen wieder und ein etwa 14-jähriger
Halbwüchsiger erwies sich als besonders gewalttätig. Mit immer größeren Steinen
zielte er genau auf unsere Köpfe, Lina setzte sich vorsorglich schon mal ihren
Fahrradhelm auf. Als uns die Sache zu gefährlich wurde, stürmten wir den Hang
hinauf und versuchten den Übeltäter zu fassen. Doch wir hatten keine Chance.
Bei 4000 m fehlte uns einfach die Kraft und Geschicklichkeit der an die Berge
gewohnten Kids. Doch wir konnten sie jetzt zumindest endgültig in die Flucht
schlagen und für den Rest des Tages waren wir gerettet. Erst jetzt realisierte
ich, dass ich am Kopf blutete, und es tropfte mir auf Hose und Hemd. Ich war
von einem großen Stein getroffen worden und schob notdürftig etwas Klopapier
unter die Mütze.
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Erschöpft, beschädigt und blutend erreichten wir die Passhöhe bei 4100 m, in der Ferne der 8125 m hohe Nanga-Parbat. Auf dieses Abenteuer hätten wir in diesem Fall liebend gerne verzichtet. andreaslina@yahoo.de