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Indien übertrifft unsere Befürchtungen um ein
Vielfaches. Der Subkontinent ist mit seinen 329
Einwohnern pro qkm eine der dichtbevölkertsten
Regionen der Erde. Sich das Elend vorzustellen oder
mittendrin zu stecken, ohne Fluchtmöglichkeit, sind
zwei Paar Schuhe. Wir erleben Indien nicht aus der
Sicht des Pauschalurlaubers, der abgeschottet
untergebracht in klimatisierten Hotels, sich die für
Touristen herausgeputzten Sehenswürdigkeiten
anschaut. Wir erleben das Indien auf der Straße,
ertragen den Dreck und Gestank und die
Aufdringlichkeit der ungebildeten Landbevölkerung, in
deren Gesichtern man weder Zu- noch Abneigung erkennt
und in deren Augen man meist ins Leere schaut.
Freies Campieren in Indien wird von keinem
vernünftigen Radfahrer empfohlen. Um den schmutzigen
Städten zu entgehen, in denen man gezwungen ist sich
in die bedrückende Enge der muffigen Hotelzimmer
zurückzuziehen, versuchten wir es dennoch mehrmals.
Wenn man nichts dagegen tut wird man beim Zelten
schnell von Dutzenden von Leuten umringt. Wir
Europäer sind es gewohnt eine Privatsphäre zu haben,
aber dieses Wort ist in der hiesigen Sprache
wahrscheinlich unbekannt. Um unsere Fahrräder besser
im Blick zu haben, lassen wir den Eingang des Zeltes
über Nacht immer ein wenig geöffnet. Bereits um
sechs Uhr morgens, wenn wir noch schlafen, kommen
Leute, starren schamlos in unser "Schlafzimmer" und
putzen sich dabei wie selbstverständlich mit
Bambusstöcken die Zähne. In solchen Situationen
platzt uns natürlich der Kragen und wir schreien die
Menschen an, dass sie fortgehen sollen und das meist
auf deutsch, denn die Sprache spielt in dem Fall keine
Rolle. Auf Englisch kann man mit der Landbevölkerung
hier meist nicht kommunizieren, obwohl Indien lange
Zeit britische Kolonie war und Englisch Amtssprache
ist. Allein durch das wilde gestikulieren und den
rohen Ton unserer Stimmen verstehen sie meist was wir
meinen, und ziehen enttäuscht ab. Man erntet dadurch
natürlich keine Sympathie und das zerrt an den
Nerven.
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Anders als in Deutschland wird man nicht
vertrieben, sondern willkommen geheißen und darf fast
überall zelten. Die Menschen sind nicht schlecht, sie
sind nur neugierig, und machen sich sogar Sorgen um
unser Wohlergehen. Deshalb tut es besonders weh sie
schlecht behandeln zu müssen, und man fühlt sich
danach miserabel. Aber niemand der diese Erfahrung
noch nicht gemacht hat kann es sich vorstellen
wie es ist, von Dutzenden von Augenpaaren schamlos
angestarrt und bei jeder Bewegung beobachtet zu
werden.
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Wir waren völlig überrascht auf unserem Weg in
Richtung Kalkutta nach einer schlecht asphaltierten,
zweispurigen Straße plötzlich ein kurzes Stück
Autobahn vorzufinden, in der Qualität den deutschen
durchaus ebenbürtig. Die westbengalische
Landbevölkerung nutzt den Highway jedoch auf andere
Weise. Die Standspur wird von Fahrrädern und
Ochsenkarren genutzt und auf der Überholspur, auf der
in Deutschland Ferraris Geschwindigkeitsrekorde
aufstellen, breiten Frauen Getreide und Kuhfladen
zum Trocknen aus. Die Gefahrenzone wird mit großen
Steinen abgegrenzt.
Jetzt sitzen wir in Kalkutta fest und warten auf eine
Sondergenehmigung der Regierung von Myanmar (früher
Burma) mit dem Fahrrad durch das Land reisen zu
dürfen. Viele Chancen geben wir uns nicht, denn
unseres Wissens ist es noch keinem Fahrradfahrer
gestattet worden das Land der goldenen Pagoden auf dem
Landweg von Indien nach Thailand zu durchqueren.
andreaslina@yahoo.de